MAZ, 19.10.2014
„Geld spielt keine Rolle“

Drei Männer der Nuthetaler „Rentnerbrigade“ erzählen, wie sie die Alte Schule gerettet und die Friedhofshalle saniert haben
MAZ, Rubrik: Wochenend-Interview, vom 18./19.10.2014

„Als ich angesprochen wurde, habe ich gesagt: „In eurem Altersheim mache ich nicht mit“ Helmut Nega

Nuthetal – Sie sind im Schnitt 72 Jahre alt und treffen sich immer donnerstags, um Steine zu schleppen oder Farbe von alten Fensterrahmen zu kratzen. Sie sind Nuthetals Rentnerbrigade. Die MAZ sprach mit drei von ihnen – mit Bauchef Wilfried Jahnke, Jörg Oldenburg und Helmut Nega.

 

MAZ: Normalerweise arbeiten Menschen für Geld. Sie nehmen keins und legen sich trotzdem ins Zeug, um alte Gemäuer in Nuthetal zu retten. Was treibt Sie an?

Jörg Oldenburg: Ich würde sonst allein zuhause sitzen.

Wilfried Jahnke: Ich hatte schon in meiner Berufszeit den Gedanken, nebenher etwas Ehrenamtliches zu tun. Ich bin damals aber nie mit einem Acht-Stunden-Tag ausgekommen, hatte also nie die Chance dazu. Später, die Rentnerzeit hatte begonnen, sprach mich Gerhard Kruspe an, ob ich Lust hätte, an der Alten Schule in Bergholz etwas zu machen. Wenn ich etwas tue, will ich es richtig tun. So sind inzwischen fast acht Jahre daraus geworden.

Wer freiwillig alten Lack von Fensterrahmen schabt, statt den Ruhestand zu genießen, muss im Bautrupp etwas finden, was es nicht so oft gibt. Was ist das?

Oldenburg: Die Gemeinschaft, die entstanden ist, ist einmalig. Ich hätte nie damit gerechnet, dass man solche Menschen hier trifft – Menschen, zwischen denen die Chemie einfach stimmt.

Einer von Ihnen hat mal gesagt, er fühle sich donnerstags, wenn die Rentnerbrigade im Einsatz ist, wie bei den Heinzelmännchen.

Helmut Nega: Rational kann ich es bis heute nicht erklären. Als ich angesprochen wurde, habe ich noch gesagt: Nee, in eurem Altersheim will ich nicht mitmachen. . Die erste Begegnung mit der Alten Schule hat mich dann aber umgehauen. Bei den ersten Arbeitseinsätzen war ich fasziniert von der Disziplin. Es war alles straff und professionell organisiert. Die Leute haben gearbeitet. Es zog sich wie ein roter Faden durch: Wir wollten was schaffen.

Jahnke: Was mich erstaunte: Wir sind ein bunter Haufen – auch mit Akademikern. Ich konnte denen die dreckigsten Arbeiten geben, keiner war sich dafür zu schade.

Nega: Mir geht immer durch den Kopf, ob wir nicht im Widerspruch zur kapitaldominierten Gesellschaft stehen, in der es um Geld und Wettbewerb geht. Wir machen im Prinzip das Gegenteil. Bei uns spielt das Monetäre keine Rolle. Ich glaube, es gibt den Wunsch nach etwas jenseits des Geldverdienens. Menschen haben auch Sehnsucht nach Gemeinsinn, nach einer Arbeit, die Sinn und Spaß macht.

Was sind das so für Leute, die sich im Bautrupp gefunden haben?

Jahnke: Bauingenieure, Maurer, Orgelbauer, Papierrestauratoren, Hubschraubermechaniker, Metallbauer, Holzkünstler. Tischler und ein Lokomotivschlosser, der auch Schildkrötenzüchter ist.

Ist der Gang zur Arbeit manchmal auch eine Flucht vorm gewöhnlichen Eheleben gewesen?

Jahnke: Die Männer waren auch mal froh, einen Tag weg von Zuhause zu sein, und die Frauen waren nicht traurig darüber.

Sie haben dieses Jahr nach siebenjähriger Arbeit die Alte Schule in Bergholz fertig saniert übergeben. Was war das für ein Gefühl?

Oldenburg: Herrlich, dass es fertig ist und zugleich stand die Frage: Was machen wir jetzt?

Nega: Für mich war das Gefühl zu kurz. Es dauerte nur Momente, ein paar Stunden, und die feierliche Übergabe war zu Ende – nach sieben Jahren Arbeit. Ich hätte gern länger gefeiert. Es war auch das Gefühl, es ist was Großes zu Ende gegangen. Man konnte sich nicht vorstellen, dass es vorbei ist.

Da war Wehmut, nichts mehr zu tun zu haben?

Jahnke: Bei der letzten Weihnachtsfeier habe ich gesagt: Wenn wir mit der Alten Schule fertig sind, wissen wir nicht, was mir machen sollen. Nuthetals Bauamtsleiter hat dann gesagt: „Keine Angst, wir haben genug Arbeit!“ Wir haben ja nebenher auch den „Panoramaweg in Ordnung gebracht, im Jugendklub Saarmund gearbeitet und die Zwischenwände in den Ex-Schleckerräumen eingebaut, damit die Verwaltungsmitarbeiter einziehen konnten, als ihr Bürohaus leergezogen werden musste.

Jetzt haben Sie die Friedhofshalle in Fahlhorst saniert.

Jahnke: Für die Sanierung der Friedhofshalle haben wir 540 Arbeitsstunden geleistet, in der Alten Schule in Bergholz waren es 16 000 Stunden.

Sie haben Sinn fürs Detail und Fähigkeiten von Restauratoren.

Jahnke: Die Erfahrungen haben wir in der Alten Schule gesammelt, wo wir ja ein denkmalgeschütztes Haus saniert haben. Dafür wurden wir 2013 vom Landesdenkmalamt geehrt. In der Friedhofshalle in Fahlhorst hat unser Holzkünstler Eberhard Kyntschl zum Beispiel Kreuz, Kruzifix und die Leuchter restauriert.

Auf welche Arbeit sind Sie besonders stolz?

Oldenburg: Auf alles.

Jahnke: Auf den Keller in der Alten Schule.

Nega: Der Keller war aber auch ein Hassobjekt, weil diese Arbeit besonders hart war. Mit dieser Akribie hätte das keine Baufirma gemacht oder sie wäre nicht bezahlbar gewesen für die Kommune.

Jahnke: Was uns auch gut gelungen ist, ist der obere Raum des Jugendklubs in der Alten Schule, Diese Verbindung von altem Dachstuhl mit neuer Glasarchitektur.

Sie haben auch für die Jugend geschuftet.

Jahnke: Wir hatten dabei nie Groll. Die Jugendklubräume wurden vor vier Jahren übergeben und sind immer noch in gutem Zustand.

Nega: Der Wert dieser Arbeit wird also anerkannt und geschätzt.

Kurz nach Fertigstellung der Fahlhorster Friedhofshalle klang vieles nach einem Abschied. Will die Rentnerbrigade in Rente gehen?

Jahnke: Dahinter steht noch ein Fragezeichen. Wir wollen uns im November bei einer Tasse Kaffee beraten, ob und wie wir weitermachen. Solche großen Projekte wie bisher – da geht die Tendenz eher dahin, dies nicht mehr zu machen. Wir werden ja nicht jünger.

Was waren die lustigsten Erlebnisse?

Jahnke: Beim Freilegen der Außenwände der Alten Schule fanden wir Knochen. Wir haben sie in einen Plastesack gelegt, um sie später zum Friedhof zu bringen. Es ist aber passiert, dass ein Knochen auf einem Sandhaufen landete. Eine Frau kam vorbei und dachte wohl, wir hätten jemanden umgebracht. Sie rief die Kripo. Der Fall war einfach zu lösen: Der Bergholzer Friedhof ging einst bis zum heutigen Rand der Alten Schule.

Was werden Sie vermissen, wenn es den Bautrupp nicht mehr gibt?

Jahnke: Die ganze Truppe, diese Gemeinschaft.

Oldenburg: Ein frommer Wunsch von mir wäre, den Dorfkrug neben der Alten Schule zu sanieren. Der ist aber in Privatbesitz und wir glauben, die Gemeinde hat kein Interesse, ihn zu kaufen.

Nega: Das Wertvollste, was entstanden ist, sind die Freundschaften. Unser Wunsch wäre aber, dass es für uns Nachfolger gibt und die nächste Generation uns nicht im Stich lässt.

Interview: Jens Steglich